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Medien: Schaden im «Cum-Ex»-Skandal höher als gedacht

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Okt 21, 2021
Beim Cum-Ex-Skandal schafften Investoren es, Steuerbehörden so zu verwirren, dass diese mehr Steuern erstatteten, als sie zuvor eingenommen hatten. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Bodo Marks/dpa)

Der weltweite Schaden durch «Cum-Ex»-Steuergeschäfte und ähnliche illegale Betrugssysteme könnte deutlich höher liegen als bislang angenommen.

Die Summe belaufe sich auf rund 150 Milliarden Euro, berichteten das ARD-Magazin «Panorama» (NDR) und das Recherchezentrum Correctiv am Donnerstag. Sie hätten die neuen Angaben gemeinsam mit 15 internationalen Medien und dem Steuerprofessor Christoph Spengel von der Universität Mannheim errechnet. Ursprünglich war man von rund 55 Milliarden Euro Schaden in elf europäischen Ländern ausgegangen.

In den neuen Berichten ist die Rede von Fällen zwischen den Jahren 2000 und 2020 in Deutschland, den USA und mindestens zehn weiteren europäischen Ländern. Allein deutschen Finanzämtern seien nach Spengels Berechnungen fast 36 Milliarden Euro entgangen. Hier war der Wissenschaftler bei vorigen Berechnungen aus dem Jahr 2018 noch von mindestens 31,8 Milliarden Euro ausgegangen.

Wie die Masche funktionierte

Bei den umstrittenen Geschäften nutzten Investoren die beschränkte Steuerpflicht für Dividenden in Deutschland aus. Bei «Cum-Ex» schoben sie rund um den Dividendenstichtag Aktienpakete rasch zwischen mehreren Beteiligten hin und her. Sie ließen die Papiere zirkulieren, bis dem Fiskus nicht mehr klar war, wem sie gehörten beziehungsweise wer Anspruch auf Rückerstattung der Kapitalertragsteuer hatte. Die Folge: Finanzämter erstatteten Steuern, die gar nicht gezahlt worden waren.

Bei «Cum-Cum» übernahmen deutsche Unternehmen für den Zeitraum der Auszahlung der Dividende vorübergehend Aktien, die eigentlich von ausländischen Unternehmen gehalten wurden. Die deutschen Unternehmen ließen sich die Kapitalertragsteuer erstatten – etwas, zu dem das ausländische Unternehmen nicht oder nur sehr beschränkt berechtigt gewesen wäre.

2012 wurde das «Cum-Ex»-Steuerschlupfloch in Deutschland geschlossen, 2015 das für «Cum-Cum»-Geschäfte. Im Juli dieses Jahres entschied der Bundesgerichtshof (BGH) zudem, dass die «Cum-Ex»-Aktiengeschäfte für den deutschen Fiskus als Steuerhinterziehung zu bewerten und damit strafbar sind.

Schärfere Regelungen gegen den Betrug

Das Bundesfinanzministerium wies den Eindruck zurück, «Cum-Cum»- und ähnliche Geschäfte würden bis heute nicht effektiv bekämpft. «Das Bundesfinanzministerium hat gehandelt – vor und in dieser Legislaturperiode», hieß es. Mehrere Regelungen seien verschärft und Missbrauch abgestellt worden. Seit 2016 etwa gebe es schärfere Anforderungen zur Anrechnung der Kapitalertragsteuer auf Dividendenzahlungen.

Danach sei noch ein Fall bekannt geworden – woraufhin Regeln weiter verschärft worden seien. Weitere Hinweise aus den Ländern auf «Cum-Cum»-Fälle nach 2016 habe es nicht gegeben – und auch keine Erkenntnisse, dass geltende Regelungen unzureichend wären.

Verbraucherschützer der Bürgerbewegung Finanzwende kritisierten dennoch, die Finanzbehörden seien bis heute nicht so aufgestellt, dass sie Steuerbetrug schnell unterbinden könnten. Auch die internationale Zusammenarbeit funktioniere nicht. «So verharren wir in einem Hase-und-Igel-Spiel, in dem Staaten immer wieder den Kürzeren ziehen und so die Bürger ständig ausgeplündert werden», sagte Vorstand Gerhard Schick. Gerade am Bankenstandort Frankfurt müsse viel mehr passieren.

Unklar, ob Steuerdeals weiter möglich sind

Der Finanzpolitiker der Grünen im Europäischen Parlament, Sven Giegold, betonte, noch immer sei unklar, inwiefern illegale Steuerdeals weiter möglich seien. «Es muss dringend aufgeklärt werden, ob und wie der Steuerdiebstahl weitergeht», sagte er. Außerdem müsse die Verjährung von «Cum-Cum»-Deals verhindert werden. Entsprechende Maßnahmen müssten auch in einem rot-grün-gelben Koalitionsvertrag stehen.

Der Linken-Finanzpolitiker Fabio De Masi forderte einen automatisierten Abgleich aller Anträge auf Erstattung von Kapitalertragsteuern und der tatsächlich entrichteten Steuern. «Solange dies nicht erfolgt, werden Cum-Ex-ähnliche Gestaltungen weiterhin möglich sein», kritisierte er.