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Licht und Schatten der EZB-Zinserhöhungen

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Okt 27, 2022
Nahezu alle Kreditinstitute haben Negativzinsen auf dem Giro- oder Tagesgeldkonto abgeschafft und tasten sich an höhere Sparzinsen heran. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Frank Rumpenhorst/dpa)

Die Rekordinflation im Euroraum zwingt Europas Währungshüter zum Gegensteuern: Zum dritten Mal in Folge erhöht die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen. Der Leitzins, zu dem sich Geschäftsbanken frisches Geld bei der EZB leihen können, steigt um 0,75 Prozentpunkte auf 2,0 Prozent. Zinsanhebungen freuen Sparer, haben aber auch Schattenseiten.

Was bedeutet das für Verbraucher?

Die Menschen in Deutschland und im Euroraum können sich angesichts der hohen Inflation für einen Euro zunehmend weniger leisten. Nach einer Umfrage des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes haben in den vergangenen zwölf Monaten 57 Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher in Deutschland ihren Konsum bereits eingeschränkt. Auf eine schnelle Entspannung bei den Preisen können die Menschen allerdings auch nach der dritten Zinserhöhung im Euroraum in Folge nicht hoffen. Gegen steigende Energiepreise, die die Inflation vor allem anheizen, sind Europas Währungshüter weitgehend machtlos.

Die Notenbank kann aber dazu beitragen dass sich die Teuerungsrate nicht dauerhaft auf hohem Niveau festsetzt. Die Sorge: «Rechnen die Bürger auch langfristig mit einer hohen Inflation, werden die Gewerkschaften hohe Lohnsteigerungen fordern und zum Teil durchsetzen», erläuterte Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank in einem Gastbeitrag in der «Börsen-Zeitung». «Hinzu kommt, dass Unternehmen leichter höhere Preise durchsetzen können, wenn die Menschen ohnehin mit einer hohen Inflation rechnen.» Es besteht die Gefahr, dass sich Löhne und Preise dann gegenseitig hochschaukeln.

Was bedeutet das für Sparer?

Nahezu alle Kreditinstitute haben Negativzinsen auf dem Giro- oder Tagesgeldkonto abgeschafft und tasten sich an höhere Sparzinsen heran. «Wir sehen aktuell ein deutliches Comeback der klassischen Geldanlagen wie Tagesgeld- oder Festgeldkonten», berichtet Moritz Felde, Geschäftsführer Finanzservice bei der Vergleichsplattform Check24. Nach Daten des Verbraucherportals Biallo werden für einjähriges Festgeld aktuell im Schnitt knapp ein Prozent Zinsen bezahlt.

Allerdings nagt die hohe Inflation an dem Ersparten. «Bei 10 Prozent Inflation liegt der reale Zinssatz deutlich im Minus. Das ist schlechter als in früheren Negativzinszeiten», erläutert DSGV-Präsident Helmut Schleweis. Der Realzins ist der Zins für Spareinlagen nach Abzug der Teuerungsrate. Bis die Zinsen beim Festgeld oder Tagesgeld auch nur annähernd an die Inflationsrate heranreichen, werden nach Einschätzung der FMH Finanzberatung noch viele Monate, vielleicht sogar Jahre vergehen.

Was bedeutet das für Kreditnehmer?

Für sie ist es teurer geworden, sich frisches Geld zu leihen. Check24 zufolge zahlen Kreditnehmer beispielsweise für einen neuen Ratenkredit in Höhe von 10.000 Euro mit einer Laufzeit von 36 Monaten aktuell im Schnitt 8,50 Euro mehr pro Monat als noch im Januar.

Was bedeutet das für Bauzinsen?

Sie sind nicht direkt von EZB-Zinsentscheidungen abhängig, sondern orientieren sich an der Verzinsung von Bundesanleihen. Bereits vor den Zinserhöhungen der Notenbank sind die Bauzinsen gestiegen. Höhere Zinsen treffen vor allem diejenigen, die ein neues Darlehen brauchen oder eine Anschlussfinanzierung für einen Immobilienkredit. Bei laufenden Hypothekenkrediten ändert sich nichts an der Zinshöhe.

Was bedeutet das für Lebensversicherungen?

Bis der Altersvorsorgeklassiker in der Breite von höheren Zinsen am Kapitalmarkt profitiert, dürfte es noch eine Weile dauern. Branchenexperten erwarten, dass Lebensversicherer zunächst sogenannte stille Lasten in der Bilanz abbauen, die durch die Zinswende entstehen, statt die Überschussbeteiligung zu erhöhen. Die Überschussbeteiligung, die Assekuranzen je nach Wirtschaftslage und Erfolg ihrer Anlagestrategie jedes Jahr neu festsetzen, ist ein wichtiger Teil der laufenden Verzinsung.

Was bedeutet das für die Konjunktur?

Notenbanken müssen die Geldpolitik straffen, wenn sie die Inflation bekämpfen wollen. Damit wird der Wirtschaft Geld entzogen, was das Wachstum dämpft. Der Chef der italienischen Notenbank, Ignazio Visco, warnte unlängst vor zu starken Leitzinserhöhungen durch die EZB. «Die steigende Inflation geht jetzt mit einer plötzlichen Verschlechterung der wirtschaftlichen Wachstumsaussichten einher», sagte Visco, der im EZB-Rat über die Geldpolitik mitbestimmt. «Vor diesem Hintergrund erhöhen zu rasche und deutliche Zinserhöhungen das Risiko einer Rezession.»

Von Friederike Marx, dpa