Die Belastungen für Fahrgäste infolge der Sanierungen von mehr als 40 hochbelasteten Bahnstrecken könnten sich länger hinziehen als bisher vorgesehen. Nach aktuellen Plänen der Deutschen Bahn würde der letzte Korridor erst Mitte der 30er Jahre fertig werden statt wie bisher im Jahr 2031. Die Zahl der jährlichen Korridorsanierungen will sie dafür reduzieren. Das geht aus einem Schreiben der für die Infrastruktur zuständigen Tochter DB InfraGo an andere Verkehrsunternehmen hervor, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.

Auf Basis von Rückmeldungen aus der Bau- und Bahnbranche habe die InfraGo einen Vorschlag zur Anpassung des bisherigen Zeitplans für die sogenannten Generalsanierungen erarbeitet, teilte die Bahn auf Anfrage mit. Dieser beinhalte «auch eine zeitliche Streckung der Projekte». Über diesen Vorschlag werde nun mit der Bahnbranche, den Verbänden und Ländern beraten. Danach sollen weitere Gespräche mit dem Bund geführt werden, dem die finale Entscheidung obliege.

Maximal fünf Sanierungen pro Jahr

In dem Schreiben heißt es: «In Absprache mit der neuen Bundesregierung planen wir daher die Anzahl der Generalsanierungen auf 4-5 pro Jahr anzupassen.» Das bedeute, dass die insgesamt 42 geplanten Projekte erst Mitte der 2030er Jahre abgeschlossen sein werden. Es sei wichtig, dass bei den sogenannten Generalsanierungen ein Gleichgewicht zwischen Kapazitätsbeschränkung, Leistungsfähigkeit der Bauindustrie und dringenden Investitionsbedarfen ins Flächennetz gewahrt werde.

Ein Sprecher des Bundesverkehrsministeriums sagte: «Wie im Koalitionsvertrag vereinbart, schauen wir uns das Korridorsanierungskonzept genau an und schärfen wo nötig nach.» Das Ministerium werde sich zu dem Vorschlag der Bahn positionieren, sobald dieser zwischen der InfraGo und der Branche abgestimmt sei.

Projekt der alten Bundesregierung

Die Generalsanierungen sind ein Projekt der alten Bundesregierung und insbesondere vom damaligen Verkehrsminister Volker Wissing (parteilos). Mit der umfassenden Modernisierung der vielbefahrenen Strecken soll ein wichtiger Teil des maroden und überlasteten Schienennetzes nach und nach wieder fit gemacht werden. Die Bahn hofft im Anschluss an die Arbeiten auf eine jahrelange Baufreiheit auf den Abschnitten. Das soll dazu beitragen, dass sich die haarsträubende Pünktlichkeit der Bahn sukzessive verbessert und die Zuverlässigkeit auf der Schiene wieder zunimmt. 

Im vergangenen Jahr wurde die Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim auf diese Weise vollumfänglich saniert. In diesem Jahr ist die Strecke zwischen Hamburg und Berlin dran. Doch was langfristig eine Verbesserung für die Fahrgäste bringen soll, bedeutet zunächst erhebliche Belastungen für Reisende und Eisenbahn-Unternehmen. Die Strecken werden für die Bauzeit jeweils über Monate voll gesperrt. Fern- und Güterverkehr werden mit deutlich längeren Fahrzeiten umgeleitet. Im Regionalverkehr fahren Ersatzbusse, die ebenfalls erheblich länger brauchen.

Kritik am Zeitplan

Auf Kritik stieß immer wieder der Zeitplan. Zu ambitioniert sei dieser, bemängelten etwa die Wettbewerber im Güterverkehr. «Die ursprüngliche Zielmarke 2030 war politisch motiviert, nicht fachlich – und ist an den Realitäten des Systems vorbeigeplant worden», sagt etwa Neele Wesseln, Geschäftsführerin des Verbands Die Güterbahnen. Bis zu neun Korridore gleichzeitig pro Jahr sollten nach den bisherigen Planungen bis Anfang der 30er Jahre modernisiert werden. Nicht alle davon sind so komplex und lang wie die Riedbahn oder Hamburg-Berlin. Doch für den Güterverkehr bedeuten die zahlreichen parallelen Projekte eine große Belastung.

Entsprechend positiv bewerten die Wettbewerber nun die Ankündigung der Bahn: «Die Verschiebung ist keine Niederlage, sondern eine notwendige Korrektur.» Schon früh habe die Branche gewarnt, die Sanierungen einfach durchzuziehen, ohne Umleiterstrecken vorzubereiten und Layoutstandards umzusetzen. 

Insbesondere die Union hat die bestehenden Zweifel am bisherigen Generalsanierungskonzept schon vor längerer Zeit aufgegriffen. Im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung ist vereinbart, das Konzept zu überprüfen und möglicherweise anzupassen. 

Schnieder: halten am Grundkonzept fest

«Wir halten am Grundkonzept fest, denn gerade auf überlasteten Strecken besteht einfach Handlungsbedarf», sagte der neue Bundesverkehrsminister, Patrick Schnieder (CDU), dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). «Aber wir schauen genau hin, welche Auswirkungen es hat.» Die Bahnkunden dürften nicht überfordert werden. «Auch stelle ich mir die Frage, ob bis zu neun Streckensanierungen in einem Jahr realistisch und sinnvoll sind. Wir dürfen die Bahnkunden auch nicht überfordern», betonte Schnieder. 

Fahrgäste dürften gleichwohl ein Interesse daran haben, dass die Bahn bei der Sanierung des Netzes schnell vorankommt. Ein Großteil der hohen Verspätungsquote liegt an dem umfangreichen Baugeschehen auf dem maroden Netz. Mit jeder sanierten Strecke hofft die Bahn auf eine sukzessive Verbesserung. Schon bis 2027 will die Bahn im Fernverkehr wieder eine Pünktlichkeit von 75 bis 80 Prozent erreichen. Der Fahrgastverband Pro Bahn hat daran indes seine Zweifel: «Auch das ist ein ambitioniertes Ziel, bei dem ich den Realismus dahinter durchaus anzweifle», sagte der Bundesvorsitzende, Detlef Neuß.

Aus der Opposition im Bundestag kam Kritik an den Plänen. «Der Bundestag gibt ein Sondervermögen Infrastruktur frei, damit in Deutschland schneller saniert werden kann und Merz und Klingbeil haben nicht dreisteres zu tun, als mit mehr Geld weniger zu sanieren? Wollen sie ganz Deutschland für dumm verkaufen?», teilte die Grünen-Abgeordnete Paula Piechotta mit.