Immer neuer Regen in diesem Sommer hat den deutschen Landwirten bei der Ernte erheblich zugesetzt. Ob die Marke von 40 Millionen Tonnen Getreide noch erreicht werden kann, sei ungewiss, teilte der Bauernverband in einer ersten Bilanz am Dienstag mit. Die Vorjahresmenge von 43 Millionen Tonnen sei sicherlich nicht mehr zu schaffen.
Da häufige Niederschläge die Mähdrescher wieder und wieder bremsten, steht mancherorts noch Weizen auf den Feldern, der längst hätte eingefahren werden müssen. Schäden durch Nässe und Stürme drücken auf Erntemengen und Qualität. Preistreiber beim Kauf von Lebensmitteln ist Getreide nach Brancheneinschätzung vorerst nicht.
Bauernpräsident Joachim Rukwied nannte die Ernte 2023 eine «echte Zitterpartie». Es gebe das Sprichwort, dass man die Ernte vom Feld stehlen müsse. «Das war in diesem Jahr wirklich der Fall.» Auf ein nasses Frühjahr folgte lange Trockenheit im Mai und Juni, die Ernte war dann häufig von Regen unterbrochen. Nur bei Wintergerste, die als erste geerntet wird, kam mit 9,5 Millionen Tonnen mehr herein als im Vorjahr. Bei Weizen als wichtigster Getreidesorte hierzulande dürften unterdurchschnittliche 20 Millionen Tonnen erreicht werden. Bei Winterraps wird trotz vergrößerter Anbauflächen ein Rückgang auf 4,07 Millionen Tonnen erwartet. Die Hochrechnungen für die vorläufige Bilanz gehen auf Daten aus den 18 Landesbauernverbänden zurück.
«Markanter Preiseinbruch»
Wirtschaftlich müssen die Höfe mit nicht ganz leichten Erntefolgen umgehen. Ein erheblicher Anteil dürfte nicht mehr als Brotweizen zu verkaufen sein, sondern mit Preisabschlägen noch als Tierfutter oder notfalls als Bioenergie-Material. Zudem gibt es bereits seit einiger Zeit einen «markanten Preiseinbruch», wie Rukwied deutlich machte. So seien für die Tonne Brotweizen momentan 220 bis 230 Euro zu erzielen – vor einem Jahr seien es kurz nach der Ernte 310 bis 350 Euro gewesen. Wer könne, warte daher gerade lieber noch mit dem Getreideverkauf. Manche Betriebe benötigten aber auch schon akut flüssige Mittel.
Insgesamt sei der europäische Markt dank ordentlicher Ernten etwa in Österreich oder Frankreich gut mit Getreide versorgt, erläuterte der Bauernpräsident. Das drücke auf die Preise. Die Folge für Kundinnen und Kunden im Supermarkt: Zumindest was Agrarrohstoffe anbelange, sei nicht davon auszugehen, dass die Verbraucherpreise deswegen steigen. Daneben schlagen bei Getreideprodukten generell auch zuletzt hohe Kosten für Energie oder für Personal zu Buche.
Auf dem Weltmarkt sei die Versorgungslage nach wie vor angespannt, berichtete der Verband. Die Nachfrage dürfte das Angebot übersteigen. Und dazu trage auch Russlands Blockade von Getreidelieferungen aus der angegriffenen Ukraine bei. Darunter litten vor allem Länder in Afrika, im Nahen Osten und in Asien. Zugleich komme so Getreide in europäische Länder und schaffe Preisdruck. Die Politik müsse dafür sorgen, dass ukrainische Getreide da ankomme, wo es gebraucht werde.
Auswirkungen des Klimawandels
Anders als beim Getreide hat der Regen anderen Pflanzen durchaus gut getan. Bei Kartoffeln, Zuckerrüben, Mais und Gemüse seien ordentliche Ernten zu erwarten. Beim Wein rechnet der Bauernverband mit einem guten Jahrgang 2023. Auch bei Tierhaltern, die im trockenen Frühsommer teils schon um Gras und anderes selbst angebautes Futter bangten, hat sich die Situation demnach wieder entspannt.
Für insgesamt schwierigere Bedingungen macht sich die Branche aber schon seit längerem bereit. «Der diesjährige Witterungsverlauf zeigt aufs Neue die deutlich spürbaren Auswirkungen des Klimawandels», sagte Rukwied. «Wir müssen alles dafür tun, um zukünftig unsere Erträge und die Ernährung sichern zu können.» Dazu gehörten widerstandsfähigere Pflanzen, eine breite Palette an Pflanzenschutz-Wirkstoffen, eine wassersparende Bodenbearbeitung – und hohe Priorität für Bewässerung zur Lebensmittelproduktion gleich nach der Trinkwassergewinnung.
Die Umweltorganisation WWF forderte wegen zunehmender Wetterextreme differenzierte Anbausysteme mit besserer Fähigkeit, Wasser in den Böden zu halten. FDP-Fraktionsvize Carina Konrad mahnte auch mehr Flexibilität für die Landwirte an. Das beinhalte die Förderung neuer Züchtungsmethoden, um widerstandsfähigere Pflanzensorten anzubauen.