• So. Apr 28th, 2024

EU-Lieferkettengesetz droht zu platzen

Deutsche Spitzenverbände befürchten durch das neue EU-Lieferkettengesetz «Rechtsunsicherheit, Bürokratie und unkalkulierbaren Risiken». (Urheber/Quelle/Verbreiter: Arne Immanuel Bänsch/dpa)

Das geplante neue EU-Lieferkettengesetz droht am Widerstand der FDP zu scheitern. Das Bundesjustizministerium und das Bundesfinanzministerium könnten die Pläne nicht mittragen, verlautete aus Regierungskreisen.

«Im Rat der Europäischen Union hat dies eine Enthaltung Deutschlands zur Folge, die im Ergebnis wie eine „nein“-Stimme wirkt», heißt es in einem Schreiben von Justizminister Marco Buschmann und Finanzminister Christian Lindner (beide FDP), das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Im EU-Rat steht noch eine finale Abstimmung im Kreis der EU-Staaten an.

Durch das EU-Lieferkettengesetz sollen große Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren. Größere Unternehmen müssen zudem einen Plan erstellen, der sicherstellt, dass ihr Geschäftsmodell und ihre Strategie mit der Einhaltung der Pariser Klimaziele zur Begrenzung der Erderwärmung vereinbart sind.

Warnung vor Belastung von Unternehmen

Buschmann und Lindner kritisierten, das EU-Gesetz werde dazu führen, dass Unternehmen für Pflichtverletzungen in der Lieferkette in erheblicher Weise zivilrechtlich haften. Außerdem wären deutlich mehr Unternehmen betroffen als nach aktueller deutscher Rechtslage. Auch der Bausektor solle als sogenannter Risikosektor eingestuft werden. Insbesondere für kleine und mittelständische Unternehmen in diesem bereits durch gestiegene Bauzinsen gebeutelten Bereich könne das existenzbedrohend sein.

«Viele Betriebe verfügen unserem Eindruck nach schlichtweg nicht über die entsprechenden personellen und finanziellen Ressourcen», argumentieren die Minister. «Es ist zu befürchten, dass künftig noch weniger gebaut würde in Deutschland.» Bereits beim Streit um ein Aus für Neuwagen mit Verbrennungsmotor hatte Deutschland – vor allem auf Drängen der FDP – Nachforderungen gestellt.

Justizminister rechtfertigt Nein zu EU-Gesetz

Buschmann sagte der Deutschen Presse-Agentur, «der Schutz der Menschenrechte gehört zum Selbstverständnis der EU». Daher unterstütze er uneingeschränkt das von der Richtlinie verfolgte Ziel, einen besseren Schutz von Menschenrechten und Umwelt in den Lieferketten europäischer Unternehmen sicherzustellen. Dieses Ziel dürfe aber nicht zu einer «Selbststrangulierung unseres Wirtschaftsstandorts» führen. Ihm sei es wichtig gewesen, bis zuletzt zu verhandeln, um dann im Rahmen einer Gesamtabwägung zu prüfen, ob das Ergebnis tragbar ist, sagte Buschmann.

Am Ende sei er dann aber zu dem Schluss gekommen: «Unsere Sorgen sind nicht entkräftet, die Risiken für die europäische und deutsche Wirtschaft überwiegen. Im Rat der Europäischen Union habe dies eine Enthaltung Deutschlands zur Folge, die im Ergebnis wie eine «nein»-Stimme wirke.

Unterhändler des Europaparlaments und der EU-Staaten hatten sich Mitte Dezember auf einen Kompromiss zu dem Vorhaben geeinigt. Noch gibt es aber lediglich einen politischen Deal. Ein genauer Rechtstext wird derzeit von Beamten ausgearbeitet – dieser könnte in den kommenden Wochen fertiggestellt werden. Danach muss dieser noch endgültig von den EU-Staaten und dem Europaparlament angenommen werden.

Zustimmung für Gesetz fraglich

Ein EU-Diplomat sagte der Deutschen Presse-Agentur, dass mit einer Enthaltung Deutschlands unklar sei, ob es unter den EU-Ländern jetzt noch eine ausreichende Mehrheit für das Vorhaben geben wird. Es gibt etwa Spekulationen, dass sich andere Länder an der Entscheidung Deutschlands orientieren und dem Vorhaben nun ebenfalls nicht zustimmen.

Damit steht eines der Leuchtturmprojekte der EU-Handelspolitik auf der Kippe. Nach Angaben eines weiteren EU-Diplomaten wird die belgische Ratspräsidentschaft das Vorhaben weiter vorantreiben. Es werde an einer Einigung gearbeitet, hieß es.

BDI-Präsident Siegfried Russwurm begrüßte die Ankündigung der beiden FDP-Minister. «Es ist gut, dass dieser Irrweg von Berlin nicht unterstützt wird und somit einer abermaligen Ausweitung von Bürokratie und verwaltungsintensiven Berichtspflichten der Unternehmen ein Riegel vorgeschoben wird», sagte er.

Aufforderung an Kanzler Scholz

Mehrere Spitzenverbände forderten jüngst in einem Brief an Kanzler Olaf Scholz (SPD), die Zustimmung zum neuen EU-Lieferkettengesetz zu verweigern. Sie warnten vor «Rechtsunsicherheit, Bürokratie und unkalkulierbaren Risiken». Weitere Verbände warnten in einem separaten Schreiben, gerade mittelständischen Unternehmen werde «teils Unmögliches» abverlangt. Die evangelische und die katholische Kirche hatten die Bundesregierung hingegen jüngst zur Zustimmung aufgefordert.

In Deutschland gibt es bereits ein Lieferkettengesetz, die EU-Variante geht aber über die Vorgaben des deutschen Gesetzes hinaus. Das deutsche Gesetz gilt für Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitern. Diese Grenze dürfte durch die EU-Version herabgesetzt werden. Außerdem ist vorgesehen, dass Unternehmen zivilrechtlich zur Verantwortung gezogen und beispielsweise Schadenersatzansprüche geltend gemacht werden können. Das ist im deutschen Lieferkettengesetz bislang ausgeschlossen.

FDP-Vize Johannes Vogel verteidigte die Ablehnung aus seiner Partei. «Dass die EU-Lieferkettenrichtlinie dank der FDP ein Stopp-Signal aus Deutschland bekommt, ist richtig. Kein Unternehmen braucht derzeit neue bürokratische Belastungen von Ursula von der Leyen», sagte Vogel, der auch Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion ist, mit. Fraktionsvize Lukas Köhler betonte, für die FDP sei immer klar gewesen, dass Deutschland nur zustimmen werde, wenn es keine zusätzliche Bürokratie für deutsche Unternehmen gebe.