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«Zollbombe»: Handel warnt vor Folgen eines No-Deal-Brexits

«Zollbombe»: Handel warnt vor Folgen eines No-Deal-Brexits
Gemüse und Obst könnten im Fall eines No-Deal-Brexit in Großbritannien deutlich teurer werden. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Julian Stratenschulte/dpa)
Teurere Lebensmittel?:

Der Handelsverband spricht von einer «Zollbombe», Parlamentarier warnen vor einem «Sturz ins Bodenlose»: Mit Angst und Wut blickt die britische Wirtschaft auf einen möglichen No-Deal-Brexit.

Bis zu diesem Sonntag haben Großbritannien und die EU Zeit, sich doch noch auf einen Handelspakt für die Zeit ab 2021 zu einigen. Doch angesichts der jüngsten skeptischen Äußerungen von Premierminister Boris Johnson rechnen Wirtschaftsvertreter mehr denn je damit, dass vom 1. Januar an höhere Zölle und andere Handelsbarrieren drohen – mit heftigen Folgen.

48 Prozent mehr für Rinderhackfleisch, 16 Prozent auf Gurken, 10 Prozent auf Salat: Mit deutlich höheren Preisen muss etwa der Lebensmittelhandel rechnen. Durchschnittlich mehr als 20 Prozent höhere Zölle würden auf frische Lebensmittel wie Obst und Gemüse aus der EU Zölle fällig, warnte der Handelsverband BRC am Freitag. Dass wenige Wochen vor dem Ende der Übergangsphase am 31. Dezember, in der Großbritannien noch Mitglied der Zollunion und des EU-Binnenmarktes ist, noch immer kein Vertrag existiere, sei «alarmierend», sagte BRC-Experte Andrew Opie.

Derzeit stammen rund 80 Prozent der britischen Lebensmitteleinfuhren aus der Europäischen Union. Einer Studie der Wohltätigkeitsorganisation Food Foundation zufolge muss eine britische Familie mit vier Prozent Mehrkosten für Obst und Gemüse rechnen, falls die höheren Zölle direkt an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergegeben werden. Der Chef des Einzelhandelsriesen Tesco, John Allan, erwartet, dass der durchschnittliche Lebensmitteleinkauf um rund fünf Prozent teurer werden könnte.

Beunruhigt sind Experten zudem, dass noch immer nicht klar ist, was Unternehmen künftig beachten müssen für den Handel mit der EU und welche Dokumente nötig sind. «Das ist verrückt», schimpfte die Handelsexpertin Sally Jones vom Beratungsunternehmen EY. Obwohl die Regierung seit Jahren Bescheid wisse, habe sie sich viel zu lange Zeit gelassen.

Entsetzt blicken Logistiker und Verkehrsbranche nach Dover. Vor einem der wichtigsten Häfen am Ärmelkanal stauen sich seit Tagen Lastwagen kilometerweit. Vielerorts verstopfen Container den Platz. Denn viele Unternehmen versuchen, vor Ablauf der Brexit-Übergangsphase am 31. Dezember ihre Lagerbestände aufzufüllen – doch es mehren sich Berichte, dass viele Schiffe keine Container aufnehmen, und stattdessen andere Häfen mit lukrativeren Aufträgen anliefen. Der Spielzeugherstellerverband BTHA warnte bereits, dass Weihnachtsgeschenke für Tausende Kinder in Großbritannien nicht rechtzeitig ankommen könnten. Der japanische Autobauer Honda stoppte wegen Lieferproblemen die Produktion in seinem Werk in Swindon.

Ein Brexit ohne Handelsvertrag, aber auch jüngst getroffene Maßnahmen der Regierung gefährdeten zudem zahlreiche Jobs, warnen Wirtschaftsvertreter. Der japanische Hersteller Nissan drohte bereits, seine Fabrik in Sunderland mit rund 6000 Beschäftigten rechne sich nicht mehr, falls bei einem No Deal zehn Prozent Zoll auf seine Autoexporte in die EU aufgeschlagen würden. Und am Freitag forderte der Chef des größten britischen Flughafens London-Heathrow, John Holland-Kaye, die Regierung müsse die geplante Streichung steuerfreier Einkäufe von internationalen Besuchern zurücknehmen. Allein in Heathrow stünden deshalb 2000 Arbeitsplätze im Feuer.

Gewerkschaften wiederum fürchten, dass Unternehmen wegen der Brexit-Unsicherheit Investitionen streichen und Jobs ins Ausland verlagern. «Die arbeitenden Menschen werden dieser Regierung niemals vergeben, wenn wir ohne ein Abkommen aus der EU herausstürzen, nur weil Minister ihr Recht behalten wollen, Arbeitsrechte anzugreifen», sagte Kathleen Walker Shaw von der Gewerkschaft GMB.

Und die Regierung selbst? Kultur-, Sport und Medienminister Oliver Dowden betonte am Freitag, Lebensmittelpreise würden höchstens um 2 Prozent steigen – und auch die EU werde höhere Preise zu spüren bekommen. Außenminister Dominic Raab hatte sich ebenfalls «nicht beunruhigt» gezeigt. Um die Lastwagen-Staus zu entzerren, lockerte die Regierung die Arbeitszeiten für Lkw-Fahrer. Selbstvertrauen zeigte auch die Zentralbank. So könne es zwar zu Störungen bei Finanzdienstleistungen kommen, räumte sie ein. Doch Notenbankchef Andrew Bailey betonte: «Wir können sehr viele Maßnahmen ergreifen, und wenn es möglich ist, werden wir sie ergreifen.»

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