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Was kommt über die Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 1?

Die Gasempfangsstation der Ostseepipeline Nord Stream 1 in Lubmin. (Urheber/Quelle/Verbreiter: Jens Büttner/dpa)

Tag der Wahrheit im vorpommerschen Lubmin: Lässt Russland tatsächlich Gas in nennenswerter Menge bei der deutschen Anlandestation der Pipeline Nord Stream 1 ankommen – oder verschärft Moskau die Energiekrise weiter?

Vorläufigen Zahlen der Betreibergesellschaft zufolge sind für heute in etwa so große Gaslieferungen über die Ostsee-Pipeline angekündigt wie vor deren Wartung – nämlich etwas weniger als 30 Millionen Kilowattstunden pro Stunde, also rund 700 Gigawattstunden pro Tag. Das geht aus vorläufigen Vorabinformationen hervor, die in der Nacht auf der Webseite der Nord Stream AG veröffentlicht wurden (Stand 4.00 Uhr).

Die angekündigte Menge entspricht damit ungefähr dem Niveau vor Beginn der planmäßig am heutigen Donnerstag beendeten Routinewartung, als die Pipeline zu etwa 40 Prozent ausgelastet wurde. Die Angaben dazu können sich aber noch ändern.

Schon seit Juni reduzierte Menge

Die Pipeline Nord Stream 1 – die wichtigste Gasleitung von Russland nach Deutschland – wurde 2011 in Betrieb genommen. Seit Juni hat Russlands staatlicher Energieriese Gazprom die Gaslieferungen nach Deutschland allerdings um mehr als die Hälfte reduziert. Begründet wurde dies mit einer fehlenden Turbine von Siemens Energy, was die Bundesregierung als vorgeschoben kritisierte. Später wurde die mehr als 1200 Kilometer lange Pipeline zudem wegen alljährlicher Wartungsarbeiten völlig stillgelegt – planmäßig bis heute.

Russlands Präsident Wladimir Putin hatte Lieferungen nach Beendigung der Wartung angedeutet. Die russische Agentur Interfax zitierte den Kremlchef zuletzt mit den Worten, der staatliche russische Energiekonzern Gazprom erfülle seine Verpflichtungen, habe sie stets erfüllt und sei gewillt, auch weiterhin alle seine Verpflichtungen zu erfüllen. Allerdings steht Russland auch seit langem im Ruf, seine Energielieferungen als geopolitisches Druckmittel einzusetzen – auch und insbesondere seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar.

Ob und wie viel Gas ab heute tatsächlich fließt, blieb bis zuletzt unklar. Bei den am Morgen vorliegenden Daten handelte es sich um vorläufige Ankündigungen, sogenannte Nominierungen. Die sind zwar wichtig für Netzbetreiber, um den Gastransport zu gewährleisten, können aber bis kurz vor den eigentlichen Lieferungen noch geändert, also renominiert werden. Das war laut dem Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, schon am Mittwoch der Fall, als andere Netzbetreiber Zahlen veröffentlicht hatten.

Müller schrieb am Mittwochabend auf Twitter, Gazprom habe renominiert und die angemeldete Menge auf 530 Gigawattstunden am ersten Tag gesenkt, was einer etwa 30-prozentigen Auslastung entspreche. Zuvor waren nach seinen Worten 800 Gigawattstunden in Aussicht gestellt worden.

Sorge mit Blick auf den Winter

Die tatsächliche Liefermenge wird sich höchstwahrscheinlich auf die Gaspreise und damit auch auf den Geldbeutel von Privatkunden auswirken. Weitere Drosselungen oder gar ein Lieferstopp würden die Gasknappheit auch mit Blick auf die kalte Jahreszeit verschärfen und das Auffüllen der Gasspeicher erschweren. Es gab Befürchtungen, Moskau könne den Gashahn auch nach der Wartung komplett zulassen und so die Energiekrise weiter verschärfen. Nach dem Angriff auf die Ukraine hatte der Westen Sanktionen gegen Russland verhängt und das überfallene Nachbarland mit Waffenlieferungen unterstützt. Russland wiederum drehte europäischen Ländern den Gashahn ganz oder teilweise zu.

Laut einem vom Bundeswirtschaftsministerium am Mittwoch vorgelegten Bericht ist der Anteil der russischen Gaslieferungen, der früher im Mittel bei 55 Prozent lag, bis Ende Juni 2022 auf 26 Prozent gesunken. Das liege am Unternehmen Gazprom, das im Juni die Gasflüsse über die Pipeline Nord Stream 1 unter dem «Vorwand von technischen Fragen» auf 40 Prozent reduziert habe. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte die von Moskau angeführten technischen Gründe als vorgeschoben kritisiert.

Gazprom hatte die Lieferungen über Nord Stream 1 deutlich gedrosselt und dies mit dem Fehlen der Turbine begründet. Diese war für Reparaturarbeiten nach Kanada geschickt und wegen Sanktionen lange zurückgehalten worden. Zuletzt entschied Kanada dann aber auf Bitten Berlins, die Turbine doch an Deutschland zu übergeben. Unter Verweis auf die noch immer nicht erfolgte Rückgabe der Turbine warnte Putin zuletzt vor weiteren Drosselungen Ende Juli und einer drastisch reduzierten Durchlasskapazität.